Martha Fendrich war mit einem nichtjüdischen Rechtsanwalt verheiratet und konnte deshalb den ersten Deportationen entgehen. Im Juli 1943 wurde sie schließlich doch nach Theresienstadt verschleppt. Sie überlebte das Lager und kehrte 1945 nach Ludwigshafen zurück.
Recherchiert und verfasst von Andrea Huber, gekürzte Fassung einer Facharbeit am Max-Planck-Gymnasium Ludwigshafen, Mai 2008. Im Original ist die Korrespondenz zwischen Martha Fendrich und ihren Söhnen ausführlich ausgewertet.
Martha Fendrich wurde am 27. August 1878 in Kaiserslautern als Martha Blum geboren. Sie war die Tochter von Moritz, der 1919 verstarb, und Johanna Eugenie Blum, die 1934 verstarb. Ihr Vater war „durch Patent vom 14. Juli 1873 zum bayerischen Leutnant der Reserve ernannt“ worden. Die Vorfahren lebten seit Mitte des 18. Jahrhunderts in der Pfalz. In ihrem Inlandspass ist als Staatsangehörigkeit deutsch und als Konfession israelitisch angegeben. Nach dem Rassenwahn der Nationalsozialisten galt sie nicht mehr als Deutsche, sondern als Jüdin.
Sie heiratete 1906 Josef Fendrich, der als „angesehener und gut katholische[r]“ Rechtsanwalt tätig war und „in den besten Kreisen der Stadt verkehr[te]“, und wohnte mit diesem zusammen in der Schubertstraße 2 in Ludwigshafen am Rhein. Ihr Ehemann war „arischer“ Abstammung und bekundete, wie in einem Gesuch der Söhne zu lesen, „in jeder Richtung seine nationale Einstellung“. Aus der Ehe gingen zwei Söhne hervor: Walter Fendrich, der 1906, und Ernst Fendrich, der 1908 geboren wurde. Nachdem sie als normale deutsche Familie gelebt hatten, wurden sie mit Inkrafttreten der Nürnberger Rassengesetze am 14.November 1935 zu „Mischlingen ersten Grades“, die aus einer „Mischehe“ hervorgegangen waren. Martha Fendrich wurde von der Ludwigshafener Bürgerin zu einem Menschen zweiter Klasse. Sie verlor ihre bürgerlichen Rechte und durfte nicht mehr wählen gehen.
Martha Fendrich war Großmutter von sechs Enkeltöchtern. Als sie am 4.8.1938 ihren Inlandspass beantragte, war sie schon verwitwet. Ihr Mann verstarb am 26.12.1937 an Lungenkrebs. Aus dem Gesuch um Aufhebung eines Abwanderungsbefehls gegen Martha Fendrich geht hervor, dass sie durch ein „steifes Bein stark körperlich behindert“ war, was auf eine Knieentzündung zurückging. Den ersten schriftlichen Beweis für die Schikanierungen durch die Nationalsozialisten stellte dieses Gesuch um Aufhebung eines Abwanderungsbefehls durch die Söhne Walter und Ernst Fendrich dar. Aus diesem Dokument geht hervor, dass der Abwanderungsbefehl am 26. Juli 1942 vollzogen werden sollte. Da Martha Fendrich nicht zwangsumgesiedelt wurde, waren die Argumente, welche die Söhne hervorbrachten, wohl vorerst überzeugend genug. Sie zeigten in dem Schreiben die Herkunft ihrer Vorfahren auf. Ferner erinnerten sie an die militärischen Auszeichnungen, die ihr Vater verliehen bekam, und die Söhne nannten ihre eigene Beteiligung als Soldaten im 2. Weltkrieg.
Ein Jahr später, am 26. Juli 1943, wurde Martha Fendrich schließlich doch ins Konzentrationslager Theresienstadt deportiert. Anhand der umfangreichen Korrespondenz zwischen Martha Fendrich und ihren Angehörigen während ihres Aufenthaltes im Konzentrationslager Theresienstadt lässt sich ihr Schicksal und die Entwicklung der Familie nachvollziehen. Da die Postkarten teilweise über die Reichsvereinigung der Juden in Deutschland gesendet und dort abgeschrieben wurden, ist es höchstwahrscheinlich, dass der ursprüngliche Text durch die Zensur verändert und beschönigt wurde.
In Theresienstadt konnten keine Gaskammern realisiert werden, obschon es dafür Pläne gegeben hatte. Es gab allerdings Erschießungen. Weiterhin fielen viele Tausend den katastrophalen hygienischen und medizinischen Bedingungen zum Opfer. Ungefähr 9000 Tote aus den Anfangsjahren wurden auf dem Friedhof des Lagers beigesetzt, erst in Einzelgräbern, später in Massengräbern. Von 1942 bis 1945 wurden 30 000 Verstorbene im Krematorium eingeäschert. Es grenzt an ein Wunder, dass Martha Fendrich, eine alte gebrechliche Frau mit einem steifen Knie, die arbeitsunfähig war, die Vernichtungsmaschinerie der Nationalsozialsten überlebte und nicht in eines der Vernichtungslager weitertransportiert wurde wie Tausende. Möglich ist auch, dass sie sich durch das Reinigen von Latrinen eine Überlebensnische verschaffte, indem sie die Arbeit machte, die ihr Körper zuließ.
Seit dem 20.4.1945 hatte Rabbi Leo Baeck den Vorsitz in der jüdischen Selbstverwaltung inne. Kurz vor Kriegsende kamen „Todesmärsche“ mit ausgehungerten und sterbenskranken Menschen aus den östlich gelegenen Konzentrationslagern in Theresienstadt an. Am 4. Mai 1945 kam die Rote Armee frühmorgens, um die Häftlinge zu befreien. Sie fand 17.321 Überlebende aus Theresienstadt selbst sowie Häftlinge, die seit Anfang des Jahres nach Theresienstadt überführt worden waren, vor.
Die SS verließ am 5. Mai 1945 das Ghetto, am 8. Mai war der Krieg zu Ende. Im Mai 1945 sandte die Stadtverwaltung in Ludwigshafen einen Bus nach Theresienstadt, mit dem Angehörige ihre Familienmitglieder heimholen sollten. Unglücklicherweise brach im Lager Typhus aus, sodass es weitere zwei Monate unter Quarantäne gestellt werden musste und die Familien wieder alleine nach Hause zurückfahren mussten. Erst als die Häftlinge die tschechischen Behörden davon überzeugt hatten, dass sie nicht erkrankt waren, durften sie die lang ersehnte Heimreise antreten. Der Entlassungsschein für Martha Fendrich aus dem Konzentrationslager Theresienstadt war auf den 22. Juni 1945 datiert, ihre Söhne holten sie von dort ab und brachten sie zu Walter Fendrich nach Hause.
Aus einem ärztlichen Attest aus dem Jahre 1947 geht hervor, dass die alte Frau sowohl physisch als auch psychisch an den „Folgen ihres langjährigen Aufenthaltes im Konzentrationslager“ litt. Diese Bescheinigung erlaubte es ihrer Schwiegertochter Mathilde Fendrich, der Frau ihres jüngeren Sohnes Ernst, die Zonengrenze zu passieren. Der Aufenthalt hatte der Ludwigshafenerin mehr als zwei Jahre mit ihren Kindern und Enkelkindern geraubt. Nicht nur die schlimmen Verhältnisse im Konzentrationslager wie Hunger, Krankheiten, Tod und Qual, auch die Angst vor einem Weitertransport in den Osten zermürbte die Häftlinge. Sie schämten sich in der neuen alten Gesellschaft für das, was sie erlebt hatten, erst später forderten sie Wiedergutmachung. Martha Fendrich beantragte nie Entschädigung. Das Erlebte muss Martha Fendrich in den weiteren Jahren so belastet haben, dass sie es nicht mehr schaffte darüber zu sprechen.
Über das Leben nach dem Aufenthalt in Theresienstadt sind in dem Nachlass Martha Fendrichs kaum Informationen vorhanden. Sie verstarb am 13.7.1960 und wurde neben ihrem Mann auf dem Hauptfriedhof in Ludwigshafen beerdigt. In den letzten Jahren vor ihrem Tod lebte sie bei ihrem Sohn Walter, der die Anwaltskanzlei des Vaters übernommen hatte, in der Nähe des Ebertparks.
Der Stolperstein für Martha Fendrich wurde am 26. März 2009 vor dem Wohnhaus in der Schubertstraße 2 verlegt.