Richard Hammer war Vorsitzender des pfälzischen Bezirksverbands der SPD und Stadtrat in Ludwigshafen. 1933 wurde er verhaftet und zum Rücktritt als Stadtrat gezwungen. 1937 konnte er nach Rumänien ausreisen, wo er 1944 verstarb.
Aus dem Buch „Das Wort Stadtparlamentarier wird aus unserem Sprachschatz gestrichen“ von Klaus-Jürgen Becker und Stefan Mörz
Richard Hammer wurde am 17. Mai 1879 in Metzdorf in Sachsen als viertes Kind eines Zimmermanns geboren und protestantisch getauft. Er war „18 Jahre jünger als sein ältester Bruder. Sein Vater arbeitete in Chemnitz und kam nur samstags nach Hause […] Der Vater starb früh und die Mutter hatte Sorge, die vier Kinder groß zu ziehen.“ Schon als er eine Lehre zum Schriftsetzer in einer Druckerei in Chemnitz absolvierte, galt Hammer als „Roter“. Im Anschluss an seine Militärzeit ging er auf Wanderschaft. Diese führte ihn nach u.a. einem Abstecher nach Dänemark im Oktober 1902 nach Ludwigshafen, wo er als Schriftsetzer bei der Traditionsdruckerei Weiß & Hameier eine Anstellung fand. Durch Selbststudium und Abendkurse bildete er sich ständig fort. Mittlerweile war er SPD-Mitglied. Vier Jahre später wurde er schon Mitglied des Bezirksvorstandes und Buchhalter bei der lokalen SPD-Zeitung „Pfälzische Post“. 1907 wurde er Mitglied der Freireligiösen Gemeinde. Im 1909 heiratete er, 1910 wurde er Vorsitzender des SPD-Ortsvereins Ludwigshafen als Nachfolger von Paul Kleefoot und war ab 1913 bei der „Pfälzischen Post“ nun als Redakteur beschäftigt. Bereits zum 4. August 1914 musste er einrücken und fand als Unteroffizier an der Front Verwendung. Er wurde mit dem Eisernen Kreuz II. Klasse ausgezeichnet. Da die Redaktion der „Pfälzischen Post“ ihn anforderte, wurde er am 28. Oktober 1916 in die Heimat entlassen.
Als SPD-Ortsvereinsvorsitzender musste er den starken Mitgliederzuwachs nach der Novemberrevolution organisatorisch bewältigen; danach stand die Wiedervereinigung mit der USPD auf der Tagesordnung. 1923 war er inhaltlich für die „Pfälzische Post“ verantwortlich – im Zeitraum des Separatismus eine besonders anspruchsvolle Aufgabe. Am 16. Oktober 1924 war er einer der Gründungsväter des „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ in der Pfalz. Zusätzlich wurde er erstmals am 17. Dezember 1924 in den Ludwigshafener Stadtrat gewählt. 1925 wurde er stellvertretender Bezirksvorsitzender und im Juli 1927 als Nachfolger für den verstorbenen Bruno Körner 1. Vorsitzender des Bezirks Pfalz der SPD. In dieser Funktion betonte Hammer noch am 3. Februar 1933 vor den 20.000 Teilnehmern einer Kundgebung der von den Sozialdemokraten geleiteten „Eisernen Front“ in Ludwigshafen die Entschlossenheit der SPD zum Kampf gegen die neue Regierung Hitler.
Am 10. März 1933 wurde die „Pfälzische Post“ beschlagnahmt und ihre Angestellten arbeitslos. Der „General-Anzeiger“ vermerkte am 23. März 1933, dass alle sozialdemokratischen Stadträte ihr Mandat niedergelegt hätten, außer Richard Hammer, der sich bis zu diesem Zeitpunkt offensichtlich noch hatte verbergen können. Am selben Tag wurde aber auch er inhaftiert. Im Gefängnis drückte man ihm einen Bleistift in die Hand und er musste folgende Notiz an den Oberbürgermeister schreiben, die an Zynismus kaum zu übertreffen ist und das Drängen der Nationalsozialisten nach pseudolegalen Verzichten auf die Ratsmandate illustriert: „Von einer Reise zurückgekehrt, habe ich mich heute früh freiwillig in Schutzhaft begeben. Da mir durch die gegenwärtigen Verhältnisse die Ausübung meines Stadtratsmandats unmöglich ist, erkläre ich hiermit meinen Austritt aus dem Stadtrat.“ Richard Hammer verblieb 14 Tage länger als seine Genossen in „Schutzhaft“, jedoch ließ man während dieser Zeit seine Familie, Frau und Sohn in Ruhe. Als die Nationalsozialisten allerdings die Konsumgenossenschaft mit eigenen Leuten besetzten, bekam deren neuer Leiter die Wohnung der Hammers, die in ein kleines, „ziemlich verwahrlostes Haus“ umgesiedelt wurden. Richard Hammer bekam Arbeitslosenunterstützung, der Verdienst seines Sohnes, der sein Studium hatte aufgeben müssen, und der Verdienst seiner Frau aus ihrer Kaffeevertriebsstelle wurden von dieser Unterstützung jedoch abgezogen. Drei Mal stand Hammer kurz davor, Arbeit zu finden, jedoch versagten die Nazis ihm immer wieder die dazu benötigte Genehmigung. Mindestens zwei Mal im Monat wurden nächtliche Hausdurchsuchungen bei ihm durchgeführt.
Dem Sohn Rudolf gelang es, über seinen Arbeitgeber, die Firma Knoll, in die rumänische Hauptstadt Bukarest zu kommen. Da nur kleinere Beträge von Rumänien ins Ausland überwiesen werden durften, bemühte sich der Sohn, seine Eltern nach Bukarest nachzuholen. Erst 1937 wurde die Ausreisegenehmigung erteilt. Aber auch in Bukarest gab es keine Arbeit für Richard Hammer, worunter er wohl sehr litt, da er sein Leben lang an geistige Arbeit gewöhnt war. Durch den Sohn hatte die Familie jedoch ihr Auskommen. Im Jahr 1939 wurde Hammer krank. Seine ihm zustehende Angestelltenrente konnte aufgrund der Devisenbewirtschaftung auch nicht komplett nach Rumänien überwiesen werden, sodass er von dieser monatlich nur 100 RM ausgezahlt bekam; der Rest ging verloren.
Der Ausbruch des Zweiten Weltkrieges änderte die Situation erneut. Hammers Sohn wurde im Januar 1940 zur Reichsmarine eingezogen. Durch seine rumänischen Sprachkenntnisse kam der Sohn, nach seiner Militärausbildung, als Dolmetscher bei verschiedenen deutschen Dienststellen zurück in das mit dem Deutschen Reich verbündete Land. Später diente er dort in der U-Boot-Flotille bei Galatz an der Westmoldau und dann als Verbindungsoffizier zu einem Marinestab am Schwarzen Meer.
Richard Hammer selbst verstarb am 9. August 1944 in Bukarest an einem Herzschlag. Sein Sohn kam gerade noch rechtzeitig zur Einäscherung, da sein Zug aufgrund von Beschuss durch sowjetische Flieger zwei Tage länger brauchte. Hammers Witwe Friederike wurde als Deutsche beim Einmarsch der Sowjets in Bukarest interniert und kam nach einigen Wirrnissen 1946 wieder nach Ludwigshafen. Sie starb dort 1962.
„Bukarest hat ein Krematorium mit einem Wolkenkratzer von 18 Stockwerken. Da stehen die Urnen zu Tausenden auf Regalen; da steht hoffentlich auch noch Richard Hammers Urne“, hatte Friederike Hammer 1960 in ihren Erinnerungen geschrieben und die Hoffnung geäußert, dass man sie doch heimholen könne. 1963 war es so weit. Die Asche von Richard Hammer wurde in das Familiengrab nach Ludwigshafen überführt und in Gegenwart der Familie und führender pfälzischer und Ludwigshafener Sozialdemokraten beigesetzt. „Die Standhaftigkeit solcher Männer wie Richard Hammer [hat] dazu beigetragen, dass die SPD nicht unterging“, betonte der SPD-Bezirksvorsitzende – und spätere Oberbürgermeister Ludwigshafens – Werner Ludwig bei der Feier.
Der Stolperstein für Richard Hammer wurde am 9. April 2024 vor dem Wohnhaus in der Königsbacher Straße 37 in Ludwigshafen-Gartenstadt verlegt.