Josef Jacob war Kantor der Jüdischen Gemeinde in Rheingönheim und Neuhofen. Im August 1942 wurde er nach Theresienstadt deportiert und wenige Wochen später dort ermordet.
Zusammengestellt vom früheren Rheingönheimer Pfarrer Frank-Matthias Hoffmann, 2007
Josef Jacob wurde am 6. September 1875 in Büdingen in Lothringen geboren. In Büdingen lebten um die Jahrhundertwende mehr Juden als Christen. Von dem dort möglich gewordenen lebendigen jüdischen Gemeinde- und Familienleben ist Josef Jacob geprägt worden. Ein frommes Judentum hatte sich dort herausgebildet, das in seiner ländlich strukturierten Berufsstruktur Landwirte und Viehhändler herausgebildet hatte. Professor Fredy Raffael (Straßburg) hat in einem Buch über diese Zeit festgehalten, dass viele gute jüdische Lehrer die Kinder, Jugendlichen und Erwachsenen der Kultusgemeinde unterwiesen haben, so dass davon ausgegangen werden kann, dass auch Jacob fundierten Tora-, Talmud- und Hebräischunterricht genießen konnte, Basis für eigene Studien in der jüdischen Tradition. So wurde in Jacob der Wunsch geweckt, sich einer religiösen Ausbildung zu unterziehen.
Seine Tochter Ilse Lewin berichtete, dass er auch gerne Rabbiner geworden wäre. Aber die Zeit der Ausbildung und die beschränkten finanziellen Möglichkeiten ließen dies nicht zu, so dass er sich für eine Kantorenausbildung entschied, die nicht minder anspruchsvoll geriet, absolvierte er sie doch in Colmar im Elsaß. Dort gab es zu der Zeit ein blühendes, vorwiegend aschkenasisch ausgerichtetes jüdisches Leben. Der Oberrabbiner des Oberelsaß hat dort seinen Sitz. Auch war damals Oberrabbiner Ernest Weil eine ausgeprägte halachische Autorität, der auch wichtige Kommentare zum „Schulchan Aruch“ („geordneter Tisch“) verfasst hat, dem bis heute dem gesetzestreuen Judentum maßgeblichen Ritual- und Rechtskodex.
In Colmar hatte Josef Jacob seine spätere Frau Klara Horn kennen- und liebengelernt. Er heiratete sie 1900, vier Töchter gingen aus der Ehe hervor: am 4. Januar 1902 Selma, am 18. Mai 1904 Rita, am 4. Januar 1906 Gretel (Margarete) und am 27. Mai 1908 Ilse. Seine erste Anstellung als Kantor und Lehrer trat er in Rüdesheim am Rhein an. In der Nachweisung der israelitischen Kultussteuern für das Jahr 1899 war erstmals Josef Jacob als Religionslehrer eingetragen, letztmals dann im Jahre 1910. Im Rheingauer Adressbuch 1903-1905 wurde „Josef Jacob, israel. Religionslehrer, Wilhelmstr. 13“ aufgeführt.
1910 bewarb sich Josef Jacob dann von Rüdesheim aus nach Rheingönheim. 1911 wurde er „als Religionslehrer und Vorbeter, weil Vorbildung vorhanden, an das Bethaus der jüdischen Gemeinde berufen“. Der Beschluss des Gemeindeausschusses der Israelitischen Kultusgemeinde Rheingönheim/Neuhofen wurde am 17. Januar 1911 gefasst, unter Vorsitz von Max Fischer. Die beiden anderen Vorstandsmitglieder waren Adolf Weil und Josef Freundlich, der eine koschere Metzgerei gegenüber dem Protestantischen Pfarrhaus, im Haus der heutigen Metzgerei Aulenbacher, betrieb. Die Familie zog in das Jüdische Bethaus in Rheingönheim, der heutigen Hauptstraße 246. Das Jüdische Bethaus und die „Judenschule“ waren nach außen hin nicht erkennbar. Beides war in dem spitzgiebeligen, unauffälligen Haus ohne äußerlichen Zierrat untergebracht. 1912 hatte die Israelitische Cultusgemeinde Rheingönheim-Neuhofen aus je sieben jüdischen Familien in Rheingönheim und Neuhofen bestanden. Dass die gemeinsame Heimstatt in Rheingönheim gefunden wurde, lag wohl daran, dass zufällig als erstes hier ein Hauskauf möglich wurde (1873 Kauf des Hauses durch die Jüdische Gemeinde). Zum Vergleich: 1806 gab es acht, 1823 91, 1936 27, und im Jahr der Auflösung der Jüdischen Gemeinde 25 Juden in Rheingönheim.
Im Hof nahm Jacob rituelle Schlachtungen vor, wenn Gemeindeglieder ihm Hühner und andere Kleintiere brachten, um sie gemäß dem jüdischen Ritualgesetz schächten zu lassen. Das auslaufende Blut wurde abgepumpt, damit es den Hof nicht verunreinigte. Jacob schächtete aber auch in jüdischen Metzgereien, wohl auch bei dem Rheingönheimer Metzger Josef Freundlich und bei Metzger Gutmann in Ludwigshafen. Dass Josef Jacob auch „schochet“, also Schlachter beziehungsweise Schächter war, deutet ebenfalls auf seine fundierte Ausbildung hin, denn nicht jeder konnte dieses wichtige Amt ausüben.
Josef Jacob hat seine eigenen Kinder als Lehrer streng religiös erzogen. Ilse Lewin sagt von ihm: „Er war ein frommer Mann mit vielseitigen geistigen Interessen und für seine eigenen Töchter in allen Lebensfragen immer sehr aufgeschlossen.“ So hatte er auch später in Ludwigshafen Verständnis dafür, wenn seine Töchter samstags, also auch am Sabbat, zur Communalschule gehen mussten. Sie sollten durch ihre Religionszugehörigkeit keine Benachteiligungen durch den sonst fehlenden Schultag haben. So hat ihn Ilse Lewin als „weichherzigen, liebenswürdigen und groß gewachsenen Mann“ beschrieben, was frühere Nachbarinnen bestätigen: „Die Familie war gut zu haben und hatte eine angenehme, freundliche Art.“
Im jüdischen Schulwesen hatte sich ein großer Wechsel vollzogen: Erst die bayrische Verordnung vom 28.8.1817 verpflichtete die jüdischen Kinder zum Besuch der öffentlichen Schulen „mit Ausnahme der besonderen Religionslehre“. Die Verordnung vom 8.10.1823 ermöglichte ein eigenes jüdisches Schulwesen: „Den Juden ist bewilligt, eigene Schulen zu errichten, wenn sie ein anständiges und zweckmäßiges Local ausmitteln und vorschriftsmäßig gebildete und geprüfte Schullehrer anstellen, welche königliche Unterthanen sind… Diese Lehrer sind an den allgemeinen Schulplan gehalten.“ Oft war es nötig, dass jüdische Lehrer in mehreren Gemeinden Dienst tun mussten, zum einen, um sich einigermaßen ernähren zu können, zum anderen, weil in vielen kleinen Gemeinden nur einige wenige Schüler zusammen kamen. So hat auch Josef Jacob Religionsunterricht im Raum von Worms bis Speyer gegeben und 105 Schüler unterrichtet. Bei den damaligen Verkehrsverhältnissen ist er lange und oft unterwegs gewesen, so dass es nicht wundert, dass sich Erinnerungen alter Rheingönheimer an Klara Jacob und den Kindern festmachen, weniger aber an Josef Jacob selbst. Auch hat er sich 1912 um eine zusätzliche Stelle als Lehrer in Schifferstadt beworben.
Wichtig in Rheingönheim und in Ludwigshafen war vor allem auch, dass Josef Jacob durch seine Charakterfestigkeit und Treue mitgeholfen hat, dass die jüdische Gemeinde kraft ihrer Religiosität in sich selber ruhen konnte und damit zusätzlich ein Stück Heimat vermitteln konnte, war doch die Gemeinde Kultusgemeinde, Rechtsgemeinde und eigener Sozialkörper zugleich. Dies gilt, auch wenn die Rheingönheimer Juden vor der NS-Zeit gut ins dörfliche Leben integriert waren.
Ende 1925 ist dann Josef Jacob mit seiner Familie erst in die Wredestraße 40 umgezogen, später in die Wittelsbachstraße 84. In der Ludwigshafener Innenstadt hatte die Familie es gut getroffen, da Josef Jacob auf eine nach den damaligen Verhältnissen „komfortable“ Wohnung Wert legte. Nicht nur in Rheingönheim scheint die Gemeinde so klein geworden zu sein, dass ein Gemeindeleben nur noch eingeschränkt möglich war und ein Kantor Jacob nicht mehr bezahlt werden konnte. Wie viele andere Vorbeter und Kantoren ist auch er in die nächstgrößere Stadt gegangen, um dort seinen Lebensunterhalt zu verdienen. Zwar scheint Max Fischer noch eine Zeit lang mitgeholfen zu haben, dass die Gemeinde am Leben blieb, aber 1938 wurde sie mit anderen Gemeinden aufgelöst. In Ludwigshafen war Jacob dann ab der Jahreswende 1925/26 als Kantor und Lehrer tätig. Persönlich schwer getroffen hat ihn 1925 der Tod seiner Tochter Selma. Diesen Verlust hat er nie richtig verwunden.
Zwei Jahre danach, 1927, berichtet Jacob seiner Tochter Rita von einem Traum: „Gott hat mir etwas Schlimmes mitgeteilt: Das europäische Judentum wird vernichtet werden, ich werde sterben. Ihr aber bleibt am Leben.“ (Das Grab der Tochter Rita, verheiratete Birnbaum, befindet sich auf dem Jüdischen Friedhof Mannheim). Dennoch war damals das Zusammenleben zwischen Juden und Christen in der jungen Industriestadt Ludwigshafen nach vielen Zeugnissen entspannt und ohne große Probleme. Am 6. September 1935 konnte Josef Jacob seinen 60. Geburtstag und sein 25-jähriges Lehrerjubiläum im Sabbat-Gottesdienst in der Ludwigshafener Synagoge Kaiser-Wilhelm-Straße begehen. Im „Israelitischen Gemeindeblatt“ heißt es dazu: „Herr Lehrer und Kantor Josef Jacob beging am Freitag, den 6. September, seinen 60. Geburtstag und zugleich sein 25-jähriges Lehrerjubiläum. Der Synagogenrat sprach Herrn Jacob in einem Glückwunschschreiben den herzlichsten Dank aus für sein pflichttreues Wirken und überreichte ihm eine Ehrengabe. Bezirksrabbiner Dr. Steckelmacher widmete beim Sabbat-Morgengottesdienst dem verdienten Beamten Worte der Anerkennung und beglückwünschte ihn im Namen der Gemeinde (…) Am Sonntag, den 17. März 1935 fand unter starker Beteiligung die diesjährige Gefallenen-Gedenkfeier der israelitischen Kultusgemeinde, gemeinsam mit dem Reichsbund jüdischer Frontsoldaten statt…Die Herren Liberles und Jacob leiteten die Feier durch Psalmenrezitation ein. – Gefühle der Trauer wichen der Erkenntnis des Sinnes unserer 12.000 Opfer, die die Ehre des deutschen Judentums auf blanken Schild erhoben.“ (Übrigens: Ludwigshafen hatte 17 jüdische Gefallene im Ersten Weltkrieg.) Diese Beschreibung mag etwas vom damaligen „Geist“ der Arbeit Jacobs widerspiegeln und zeigen, welch hohe Reputation er besaß.
Da auch Josef Jacob seit 1933 die antijüdische, rassistische Zwangspolitik der Nationalsozialisten in Ludwigshafen erlebte, zog er nach Mannheim in die F-Quadrate um, wo es aber zu weiteren Repressalien kam. Die Hoffnung, in der größeren und angesehenen jüdischen Gemeinde in Mannheim sicherer zu sein, hatte getrogen. Hetze und Diffamierung machten auch hier das Leben der Juden unerträglich. Mitbekommen hat Josef Jacob die Auflösung der Israelitischen Kultusgemeinde Rheingönheim-Neuhofen 1938. Man kann sich vorstellen, was er dabei empfunden haben muss. Zwei Rheingönheimer Beschneidungswindeln wurden auf wundersame Weise gerettet und sind heute im Fundus der Judaica-Abteilung des Historischen Museums der Pfalz in Speyer aufbewahrt.
Nach der Reichspogromnacht 1938 wurde auch Josef Jacob mit vielen anderen ins KZ Dachau verschleppt und wurde bis zum 22. November dort festgehalten. Die jüngste Tochter Ilse, die in Berlin Erich Lewin geheiratet hatte, floh mit ihrer Familie, darunter der kleine Sohn Harry, von Berlin aus nach Bolivien, dann Chile, wo das zweite Kind Ruth (heute verheiratete Ezrahe) geboren wurde.
Jacob entging der 1940 von den Gauleitern Badens und der Pfalz durchgeführten großen Deportation nach Gurs/Südfrankreich. 1940/41 befand sich Josef Jacob zeitweise im Israelitischen Krankenhaus in Mannheim. In Unterlagen des Stadtarchivs Mannheim heißt es: „Ausweislich der bei uns vorliegenden Meldekarte für Josef Jacob war dieser vom 31.12.40 bis 11.2.41 im Israelischen Krankenhaus in der Collinistraße; seither wohnte er in L 10,7.“ Die Lage der Juden war so bedrückend und aussichtslos geworden, dass man in der Familie beraten musste, was zu tun sei. So kam es zur Flucht der Familie, seiner Frau Klara, Tochter Gretel und deren Mann, im Frühjahr 1940 über eine Passage mit der Eisenbahn nach Russland und dann nach Shanghai, die auch ihm möglich gewesen wäre. Er aber wies dieses drängende Ansinnen der Familie zurück mit den Worten: „Die Jüdische Gemeinde war immer gut zu mir. Ich bleibe bei meiner Gemeinde!“
Seine beiden Brüder Raffael Jacob, jüdischer Kantor in Heidelberg, und Paquen Jacob, als Bauer in Frankreich, wurden 1940 deportiert und ermordet. Am 21. August 1942 wurde Josef Jacob in L 10 in Mannheim von der Gestapo verschleppt, zwei Tage später ins KZ Theresienstadt deportiert, am 26. September 1942 wurde er im Nebenlager Maly Trostinec als „verschollen“ gemeldet. Das Todesdatum wurde später auf 15. Oktober 1942 festgelegt. Er wurde also im September oder Oktober ermordet.
Der Stolperstein für Josef Jacob wurde am 22. November 2007 in der Hauptstraße 246 in Ludwigshafen-Rheingönheim verlegt.