Selma Löser war in den 1930er Jahren schon früh den Repressalien der Nationalsozialisten ausgesetzt, blieb aber durch ihre Ehe mit einem nicht-jüdischen Mann lange von einer Deportation verschont. Erst im Februar 1945 wurde sie verhaftet und nach Theresienstadt verschleppt. Sie überlebte die Gefangenschaft und kehrte im Juni 1945 zu ihrer Familie zurück.
Recherchiert von Liz Schimanski
Selma kam am 10. Oktober 1905 als dritte Tochter des jüdischen Ehepaars Leopold und Blondine Hochstädter, geb. Gerson, in Ludwigshafen zur Welt. Selmas Eltern sowie ihre beiden Schwestern Berta (geb. am 3. Juli 1890 in Neustadt a. d. Weinstraße) und Emma (geb. am 1. April 1894 ebenfalls in Neustadt) wohnten zu dieser Zeit in Ludwigshafen, Am Brückenaufgang 14. Hier betrieb Selmas Vater seinen „Likör- und Zigarrenhandel“. Selma verlor ihre Mutter früh, im Alter von 14 Jahren. Nach ihrem Schulabschluss unterstützte sie ihren Vater im Geschäft, bis er durch die Inflation in Schwierigkeiten geriet und das Geschäft aufgeben musste. Danach arbeitete sie für die Badische Landeszeitung in Ludwigshafen. Sie überwachte die Austräger, kümmerte sich um Reklamationen, Abonnenten und die Abrechnungen. Von 1927 bis 1931 lebte sie in Frankfurt bei wohlhabenden Verwandten, wo sie sich als Gesellschafterin nützlich machte, ihrem Vetter bei dessen Geschäften zur Hand ging und die Zeit für ihre eigene Ausbildung nutzte, die Buchhaltung erlernte und Schreibmaschinenkurse besuchte.
Am 29. September 1932 heiratete Selma den ebenfalls aus Ludwigshafen stammenden Ludwig Löser in der Pfarrkirche in Deidesheim. Ludwig war ein begabter Ingenieur und Erfinder. Selma arbeitete in der von ihm gepachteten, später unter eigenem Namen geführten Firma mit. Aufgrund ihrer Ausbildung und früheren beruflichen Tätigkeiten konnte sie einen großen Teil der Buchhaltung, der Korrespondenz und der Abrechnung selbstständig übernehmen und beim Aufbau der Firma einen wichtigen Beitrag leisten.
Die Erlasse der Nazis beeinträchtigten das alltägliche Leben von Selma und Ludwig Löser zunehmend: Freunde und Bekannte zogen sich mehr und mehr aus dem Leben des Ehepaars zurück und ließen sie mit ihren Sorgen allein. Selma durfte keine kulturellen Veranstaltungen mehr besuchen. Als Jüdin wurde ihr sogar der Friseurbesuch verboten.
Auch im eigenen Unternehmen wirkten sich die Einschränkungen aus: Ab 1938 durfte sich Selma nicht mehr im Betrieb zeigen, um zu verhindern, dass er als „jüdisches Unternehmen“ stigmatisiert wurde. Dennoch arbeitete sie hinter verschlossenen Türen weiter.
Trotz der Sorge um die Zukunft brachte Selma drei Kinder zur Welt. 1936 wurde die Tochter Irmgard geboren, 1938 der Sohn Waldemar und am 29. September 1940, in einer Bombennacht, der zweite Sohn Robert. Für die Geburt ihrer Söhne bekam sie nur mit Mühe ein Hinterzimmer in einer Klinik zugewiesen.
Vermutlich hoffte Selma ihre Lebensumstände zu vereinfachen, als sie sich am 15. Juni 1939 katholisch taufen ließ. Ungeachtet dessen und obwohl Selma durch ihren „arischen“ Ehemann einen gewissen Schutz vor den Repressalien der Nationalsozialisten genoss, musste die Familie Löser immer neue Schikanen und Einschränkungen hinnehmen. Wie alle jüdischen Menschen, die einen „nicht-jüdischen“ Vornamen trugen, musste Selma 1938 den Namen „Sara“ als weiteren Vornamen annehmen und in ihre mit einem „J“ gekennzeichnete Kennkarte eintragen lassen. Erst 1947 wurde dieser erzwungene Name wieder gelöscht. Die Gestapo bestellte Selma zu Verhören ein, und sie musste miterleben, wie ihre beiden älteren Schwestern Berta Beer und Emma Abeles mit ihren Ehemännern nach Gurs verschleppt wurden. Selma versuchte noch einige Zeit, ihre Schwestern in Gurs mit Lebensmittelpaketen zu versorgen. Häufig wurden diese von der Polizei zurückgewiesen. Nachdem ein Bombenangriff 1943 den Betrieb und den Privatbesitz der Familie Löser in Ludwigshafen komplett zerstört hatte, zog die Familie in ein kleines Bauernhaus in Ober-Scharbach bei Fürth im Odenwald. Das Leben war äußerst schwierig. Zeitweise lebten bis zu sechzehn Personen zusammen mit Ziegen und Schweinen auf dem Hof. Der steile Weg zum sechs Kilometer entfernte Bahnhof musste zu Fuß überwunden werden. Selma und Ludwig mussten ihre Kinder häufig in der Obhut einer Verwandten lassen, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten.
Doch trotz ihrer Ehe mit einem „arischen“ Mann entging Selma dem Nazi-Terror nicht. Unter dem Vorwand, sie hätte einen Arbeitseinsatz verweigert, wurde sie im Winter 1945 verhaftet und in das Gefängnis Bensheim gebracht. Am 14. Februar deportierte man sie zusammen mit etwa 280 weiteren Personen mit dem Transport XII/10 in das Ghetto Theresienstadt.
Selma erlebte das Kriegsende in Theresienstadt. In den letzten Kriegstagen mussten sie und andere inhaftierte Frauen viele Rucksäcke für die SS-Leute nähen, die ihre Flucht planten. Am 8. Mai waren plötzlich keine SS-Männer mehr zu sehen. Als klar war, dass der Krieg nun endlich zu Ende war, fielen sich die Menschen in die Arme, viele begannen zu tanzen. Ende Mai fuhr Ludwig Löser nach Theresienstadt, um seine Frau nach Hause zu holen. Den Moment, in dem ihr Mann in Theresienstadt eintraf, zählte sie zu den glücklichsten ihres Lebens. Selma und ihre Familie blieben bis 1949 im Odenwald. Später siedelten sie nach Speyer um.
Selma hat in den Jahrzehnten nach dem Krieg bis zu ihrem Tod sehr unter den Erfahrungen des Naziterrors gelitten. Depressionen quälten sie, ihre Arbeitskraft erlahmte. Kaum konnte sie sich mehr auf eine Tätigkeit konzentrieren. Über die traumatisierenden Geschehnisse, über die Tode der Schwestern und die Zeit im Gefängnis und in Theresienstadt wurde nicht offen gesprochen. Ihre Erinnerungen musste sie mit sich ausmachen. Erst in den letzten Lebensjahren öffnete sie sich, gab in Interviews Auskunft über ihre Erfahrungen während und nach der Nazizeit und beschrieb die Geschichte ihres Lebens.
Selma Löser starb am 24. Oktober 1988 in Speyer.
Der Stolperstein für Selma Löser wurde am 9. September 2021 vor dem Wohnhaus in der Schützenstraße 32 verlegt.