Edith Pinkus lebte seit 1932 in Italien und wurde im Sommer 1940 als „ausländische Jüdin“ ausgewiesen. Zurück in Ludwigshafen, wurde sie schon wenige Wochen später nach Gurs in Südfrankreich deportiert. Von dort kehrte sie nach Italien zurück, wurde verhaftet und in Süditalien interniert. 1943 wurde sie durch den Einmarsch der allierten Truppen befreit.
Recherchiert von Andreas Berlin
Edith Pinkus kam am 21, Oktober 1904 als Tochter von Emma und Louis Pinkus in Obrhausen im Rheinland zur Welt. Die Familie wohnte dort in der Marktstraße 102. Irgendwann zwischen 1910 und 1912 ging Louis Pinkus nach Ludwigshafen, wahrscheinlich zunächst allein, denn Edith gab später in einem Fragebogen an, sie sei von 1910 bis 1921 in Oberhausen zur Schule gegangen.
Ab Mitte der 1920er Jahre wohnte die Familie Pinkus in der Schützenstraße 17 in Ludwigshafen. Edith heiratete am 20. März 1926 den Mannheimer Kaufmann Alfred Theodor Rau. Am 15. September 1926 brachte sie eine Tochter zur Welt – Iris Rau. Die Ehe hielt nicht lange. Am 9. März 1928 wurden Alfred und Edith Rau geschieden, und ein Jahr später nahm Edith wieder den Familiennamen Pinkus an. Sie war in den folgenden Jahren häufig unterwegs. Ihre Mannheimer Meldekarte verzeichnet Ab- und Anmeldungen nach und aus Lübeck, Bodenbach in der Tschechoslowakei, Würzburg und Salzburg. Im Sommer 1932 ging Edith Pinkus nach Mailand. Ihre Tochter Iris befand sich in dieser Zeit in der Obhut der Familie Würth in der Ludwigshafener Gartenstadt.
Louis, Emma und Lothar Pinkus zogen um in die Zollhofstraße 11. Anders als heute war die Zollhofstraße damals nur eine kleine Gasse parallel zur Ludwigstraße, zwischen Winterhafen und Kaiser-Wilhelm-Straße. In der Pogromnacht im November 1939 wurde die Wohnung in der Zollhofstraße von SA-Leuten verwüstet.
Edith Pinkus arbeitete in Mailand als Korrespondentin für die italienische Niederlassung der Firma SIDA, eines Herstellers von Fotoapparaten aus Berlin. Das faschistische Regime unter Mussolini, das seit 1922 bestand, hatte lange Zeit keine judenfeindliche Politik betrieben. Das änderte sich ab Mitte der 1930er Jahre, als sich das Bündnis mit den deutschen Nationalsozialisten vertiefte. 1938 wurden Rassengesetze erlassen, die unter anderem vorsahen, dass alle ausländischen Juden ausgewiesen werden sollten. Edith Pinkus gelang es trotzdem immer wieder, eine Verlängerung ihres Visums um einige Monate zu erreichen, auch weil ihr Arbeitgeber mehrmals erklärte, sie „absolut unverzichtbar“. Dass zu dieser Zeit auch Ediths Tochter Iris, die als „arisch“ galt, in Mailand lebte, war ein zusätzliches Argument.
Im Juni 1940, nach dem Einmarsch der Wehrmacht in Frankreich, trat auch das faschistische Italien an der Seite des Deutschen Reichs in den Krieg ein. Edith Pinkus, zu dieser Zeit hochschwanger, wurde endgültig ausgewiesen. Sie konnte am 11. Juli 1940 noch ihre zweite Tochter Germana in Mailand zur Welt bringen. Am 26. August musste sie Italien schließlich verlassen. Mit ihrer gerade sechs Wochen alten Tochter fand sie Unterkunft bei ihrem Vater und Bruder in Ludwigshafen, in der Zollhofstraße 11.
Am Morgen des 22. Oktober 1940 wurden Louis und Edith Pinkus von SS-Leuten aufgefordert, ihre Koffer zu packen und sich im Hof der Maxschule einzufinden. Sie durften höchstens 10 kg Gepäck mitnehmen. Zusammen mit 177 anderen Ludwigshafenern wurden sie auf Lastwagen zum Bahnhof gebracht. Von dort ging der Transport in das Lager Gurs in Südfrankreich. Edith Pinkus gelang im Dezember 1940 die Flucht aus dem Lager. Mit ihrer kleinen Tochter ging sie nach Nizza und versuchte, von dort wieder nach Italien zu kommen. Sie beantragte ein Visum, um ihre inzwischen 14-jährige Tochter Iris zu besuchen, die nach wie vor in Mailand lebte und dort die Schule besuchte. Die Einreiseerlaubnis wurde ihr verweigert.
Am 18. November 1942 wurde Edith Pinkus in der kleinen Ortschaft Tromello, etwa 30 km südwestlich von Mailand, von einer Einheit der italienischen Spionageabwehr festgenommen. Im Januar schrieb die Mailänder Präfektur in ihrem Bericht an das Innenministerium: „Es wurde festgestellt, dass die Pinkus in der Nacht vom 30. April auf den 1. Mai letzten Jahres [1942] von Nizza kommend illegal in das Land einreiste, um Carlo Novarese wiederzusehen, ihren Geliebten aus der Zeit, bevor sie aus dem Königreich ausgewiesen wurde. […] Pinkus und Novarese legten ein Geständnis ab, wobei Letzterer sich damit zu rechtfertigen versuchte, dass er zu der rechtswidrigen Tat veranlasst worden sei, um mit Pinkus und ihrer kleinen Tochter Germana, die am 11. Juli 1940 in dieser Stadt [Mailand] aus der unehelichen Beziehung hervorgegangen war, wieder zusammenzukommen.“
Edith und Germana Pinkus wurden in ein Internierungslager in Pisticci ganz im Süden Italiens geschickt. Am 29. Januar 1943 trafen sie dort ein. Vier Wochen später, am 1. März, brachte man sie in das nahe gelegene Dorf Colobraro, wo sie unter Aufsicht der Carabinieri in einer Art Hausarrest interniert wurden. Die Verbannung in den Süden Italiens rettete den beiden möglicherweise das Leben. Im Sommer 1943 landeten alliierte Truppen in Süditalien, Mussolini wurde gestürzt, und Anfang September wurden die Internierungslager aufgelöst. Währenddessen war in Norditalien die Wehrmacht einmarschiert. Von dort wurden noch Tausende Juden in die Vernichtungslager deportiert.
Edith und Germana Pinkus wohnten nach der Befreiung mindestens bis Anfang der 1960er Jahre in Montalbano Jonico, ganz in der Nähe von Colobraro. Später hat die Familie in Arona am Lago Maggiore gelebt. Edith Pinkus starb 1982.
Der Stolperstein für Edith Pinkus wurde am 11. Oktober 2022 vor dem Haus in der Zollhofstraße 11 verlegt.
Auf dem Stein ist das Geburtsjahr versehentlich mit 1905 (statt 1904) angegeben.